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Diabetes mellitus - Auf vollwertiges Essen kommt es an

Heute weiß man, dass Diabetes mellitus weit mehr als ein Problem mit dem Blutzucker ist. Dies hat dazu geführt, dass sich die Empfehlungen für eine diabetesgerechte Ernährung seit Mitte der 90er Jahre grundlegend verändert haben.

Diabetes Vollwerternährung

Diabetes mellitus ist nicht nur eine Erkrankung des Kohlenhydratstoffwechsels. Es kommt auch zu Störungen des Protein- und vor allem des Fettstoffwechsels. Das begünstigt die Entstehung von Arteriosklerose und erhöht das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden. Rund 30 Prozent aller Herzinfarktpatienten haben einen diagnostizierten Diabetes. Eine entscheidende Aufgabe der Ernährungstherapie bei Diabetes besteht daher neben der Normalisierung des Blutzuckers darin, weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Übergewicht, erhöhte Blutfette und Bluthochdruck günstig zu beeinflussen. Obwohl die Krankheitsentstehung des Typ-1-Diabetes eine grundsätzlich andere ist als die des Typ 2, können sich bei ungünstiger Lebensweise prinzipiell die gleichen Risikofaktoren für arteriosklerotische Gefäßveränderungen entwickeln. Es gelten deshalb für beide Formen weitgehend ähnliche Ernährungsempfehlungen.

Übergewicht abbauen

Viele Typ-2-Diabetiker sind übergewichtig. Bereits bei einer Gewichtsabnahme von 5-10 Prozent verbessern sich die Insulinempfindlichkeit und die Glucosetoleranz, Blutfette und Blutdruck sinken und damit auch das kardiovaskuläre Risiko. Langfristig sollte ein BMI von 25 kg/m2 oder darunter sowie ein Taillenumfang unter 102 cm bei Männern und unter 88 cm bei Frauen angestrebt werden. Gewicht abzubauen ist daher in der Regel das vorrangige Ziel für die Ernährungsberatung. Kontrovers diskutiert wird dabei noch immer die Frage nach der optimalen Verteilung der Hauptnährstoffe Eiweiß, Fett und Kohlenhydrate. Seit vielen Jahren favorisieren die Fachgesellschaften eine energie- und fettreduzierte Kost als diätetische Maßnahme zur Gewichtsabnahme. Entsprechend sehen die für Deutschland seit 2005 geltenden evidenzbasierten Ernährungsempfehlungen zur Behandlung und Prävention des Diabetes mellitus bislang eine generelle Fettbegrenzung auf 35 Prozent und zur Gewichtsreduktion auf 30 Prozent der Gesamtenergie vor. Die Aufnahme von Protein darf laut Leitlinie bei Patienten mit normaler Nierenfunktion 10-20 Energieprozent betragen. Daraus resultiert eine empfohlene Kohlenhydrataufnahme von 45-60 Prozent der Nahrungsenergie.

Studien uneinheitlich

Aktuelle Studien bestätigen, dass eine fettarme und gleichzeitig kohlenhydratbetonte Kost eine geeignete Strategie zur dauerhaften Gewichtsregulation darstellt. Einige neuere Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass über einen Zeitraum von ein bis zu zwei Jahren auch eine kohlenhydratreduzierte Ernährung mit höherem Fett- und Proteingehalt eine Gewichtsabnahme ermöglicht, ohne das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen zu erhöhen. Teilweise lassen sich in den Studien durch die verminderte Kohlenhyd­rataufnahme günstige Effekte auf Triglyceride, HDL-Cholesterin und postprandiale Blutzuckerspiegel (nach den Mahlzeiten) beobachten. Die Fachgesellschaften, erstmals die American Diabetes Association im Jahr 2008, tragen der aktuellen Datenlage in ihren Ernährungsempfehlungen Rechnung. Neben der fettreduzierten Diät wird nun auch eine moderat kohlenhydratverminderte Reduktionskost als Methode zur kurzfristigen Gewichtsabnahme bis zu einem Jahr in Betracht gezogen. Die Experten lehnen jedoch eine unkritische Empfehlung von „Low-Carb-Diäten“ ab.

Auf Fettqualität achten

Da Diabetiker ein höheres Risiko für Gefäßerkrankungen haben, gilt für sie der strenge Zielwert für ein LDL-Cholesterin unter 100 Milligramm pro Deziliter. Aus diesem Grund ist in den aktuellen Empfehlungen für Diabetiker die Zufuhr von gesättigten Fettsäuren und Transfettsäuren in der Nahrung stärker begrenzt worden. Um einen Anstieg des LDL-Cholesterins zu vermeiden, sollte die Aufnahme von Transfettsäuren minimiert werden und die Aufnahme gesättigter Fettsäuren unter sieben Prozent der Gesamtenergie liegen. Gerade wenn eine kohlenhydratärmere fettreichere Ernährung praktiziert wird, kommt der Qualität der Fette eine entscheidende Bedeutung zu. Günstig ist eine gesteigerte Aufnahme von einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren aus pflanzlichen Quellen und Fisch. Tierische Fettquellen wie Fleisch, Wurst, Eier und fettreiche Milchprodukte sollten dagegen sparsam verwendet werden. Auch der in den Leitlinien vorgegebene strengere Richtwert für Nahrungscholesterin von unter 200 Milligramm pro Tag lässt sich nur bei eingeschränktem Verzehr tierischer Lebensmittel erreichen. Leider zeigen Studien, dass Menschen mit Diabetes im Schnitt doppelt so viele gesättigte Fettsäuren aufnehmen wie empfohlen.

Mehr Protein günstig?

Kohlenhydratreduzierte Diäten sind nicht nur fett-, sondern auch proteinreich. Daher stellt sich die Frage, ob sie bei Diabetikern mit erhöhtem Risiko für Nierenerkrankungen eingesetzt werden dürfen. Bei Typ-1-Diabetikern mit bereits vorhandener Nierenschädigung (Nephropathie) wirkt sich eine auf zehn Energieprozent herabgesetzte Proteinaufnahme günstig auf die Nierenfunktion aus. Dass eine Proteinbegrenzung bei nierengesunden Menschen die Entwicklung einer Nephropathie verhindern oder verzögern könnte, ist jedoch noch nicht erwiesen. In verschiedenen Kurzstudien ließ sich durch eine kohlenhydratärmere Kost mit einem Proteinanteil von 30 Energieprozent eine verbesserte Blutzuckereinstellung erzielen, ohne dass negative Effekte auf kardiovaskuläre Risikofaktoren oder die Albuminausscheidung im Urin (Frühmarker einer diabetischen Nierenschädigung) erkennbar waren. Da aber noch unklar ist, wie sich mehr als 20 Prozent Protein langfristig auswirken, wird von einer proteinreichen Ernährung derzeit abgeraten. Bei kohlenhydratreduzierten Diäten zur kurzfristigen Gewichstabnahme wird eine regelmäßige Kontrolle der Nierenfunktion und der Blutfettwerte empfohlen.

In einzelnen Studien kommt es unter kohlenhydratreichen Diäten zu einer Steigerung der Tri­gly­ceride sowie verglichen mit Low-Carb-Diäten zu ungünstigen Effekten auf die Blutglucose- und Insulinspiegel nach den Mahlzeiten. Da sich kohlenhydratreichere Kostformen individuell unterschiedlich auszuwirken scheinen, ist eine Kontrolle der Triglyceride sinnvoll. In den Leitlinien wird eingeräumt, dass bei Patienten mit erhöhten Triglyceriden eine Verbesserung der Lipidspiegel erreicht werden kann, wenn die Kohlenhydrataufnahme im unteren Bereich der empfohlenen Bandbreite liegt. Weniger als 45 Energieprozent Kohlenhydrate sollten es allerdings nicht sein.

Mehr Ballaststoffe

Der gesundheitliche Wert einer kohlenhydratbetonten Ernährung wird entscheidend von der Auswahl der Kohlenhydrate bestimmt. Empfehlenswert ist es, kohlenhydratreiche Lebensmittel zu bevorzugen, die gleichzeitig einen hohen Ballaststoffgehalt und niedrigen glykämischen Index (GI) aufweisen. Es scheint sich zu bestätigen, dass ein niedriger GI durch reichlich Ballaststoffe mit einer besseren Blutzuckerkontrolle und einem geringeren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen einhergeht. Nach den aktuellen Leitlinien sollten täglich idealerweise 40 Gramm Ballaststoffe aufgenommen werden oder mindestens 14 Gramm pro 1000 Kilokalorien. Leider essen die meisten Patienten nur knapp die Hälfte davon. Auch wegen des geringen Ballaststoffanteils werden Diäten mit einem Kohlenhyd­ratgehalt unter 130 Gramm pro Tag als problematisch angesehen. Wegen des geringen Obst- und Gemüseanteils fehlen ihnen aber nicht nur Ballaststoffe, sondern auch andere wichtige Nährstoffe wie antioxidative Vitamine und Mineralstoffe.

Insgesamt deutet vieles darauf hin, dass zur Verminderung des kardiovaskulären Risikos weniger der genaue Anteil von Eiweiß, Fett und Kohlenhydraten in der Ernährung entscheidend ist, als vielmehr die Art und Quelle dieser Nährstoffe. Wichtig ist vor allem ein niedriger glykämischer Index, ausreichend Ballaststoffe und die Qualität der Fettsäuren. Auf der Grundlage einer angepassten Kalorienaufnahme sollte die beste Kombination je nach dem individuellen Lipidstatus und der Nierenfunktion gefunden werden. Da es für die Nährstoffverteilung einen gewissen Spielraum gibt, können auch persönliche Vorlieben berücksichtigt werden, was sich positiv auf die Lebensqualität auswirkt. Gleichzeitig vergrößert sich so die Chance für eine dauerhafte Ernährungsumstellung und damit für einen langfristigen Gewichtserfolg.

Lebensmittelauswahl bei Diabetes mellitus
Günstige Kohlenhydratquellen mit hohem Ballaststoffgehalt bzw. niedrigem glykämischen Index, die gleichzeitig Vitamine und Mineralstoffe liefern:
  • Gemüse, Obst (insgesamt 5 Portionen am Tag)
  • Hülsenfrüchte (möglichst 4 Portionen pro Woche)
  • Vollkorn- und Ganzkorngetreideprodukte (die Hälfte der täglich verzehrten Getreideprodukte)
  • Günstige Fettquellen mit hohem Anteil an einfach ungesättigten Fettsäuren und Omega-3-Fettsäuren:
  • fetter Seefisch (2- bis 3-mal pro Woche; z. B. Hering, Lachs, Makrele, Thunfisch)
  • Rapsöl, Olivenöl, Sojaöl, Walnussöl, Leinöl
  • Nüsse

Risiken minimieren

Wie der Allgemeinbevölkerung wird auch Diabetikern empfohlen, nicht mehr als sechs Gramm Kochsalz pro Tag zu verzehren, um Bluthochdruck zu vermeiden. Alkohol sollte auf täglich maximal ein Glas bei Frauen und zwei Gläser bei Männern (zehn bzw. 20 Gramm Alkohol) begrenzt bleiben. Größere Mengen können sich ungünstig auf das Gewicht auswirken sowie Blutdruck und Triglyceride erhöhen. Durch den Kohlenhydratgehalt alkoholischer Getränke kommt es zudem zum akuten Blutzuckeranstieg. Problematischer ist jedoch der verzögerte blutzuckersenkende Effekt des Alkohols: Alkohol am Abend kann bei Patienten unter Insulintherapie oder insulinfreisetzenden Tabletten zu schweren nächtlichen oder morgendlichen Unterzuckerungen führen.

Ein Zuckerverbot bei Diabetes ist nach heutigen Erkenntnissen nicht mehr gerechtfertigt. Denn der Blutzuckeranstieg durch Zucker wie Saccharose (Haushaltszucker) fällt nicht stärker aus als nach vergleichbaren Mengen anderer Kohlenhydrate. Eine moderate Aufnahme von im Essen „verpackten“ Zuckern (bis zu zehn Prozent der Gesamtenergie; max. 50 Gramm pro Tag) wird daher toleriert. Sind in zuckerhaltigen Lebensmitteln gleichzeitig Fett, Eiweiß und Ballaststoffe enthalten wie in Schokolade, Kuchen, Fruchtjoghurt oder Marmeladenbrot, bewirken diese einen verlangsamten Blutzuckeranstieg. Unerwünscht schnell steigt der Blutzucker dagegen an, wenn Zucker in konzentrierter oder isolierter Form verzehrt wird, weshalb Lebensmittel wie gezuckerte Getränke oder Wassereis besser vermieden werden.

Das Aus für Diabetiker-Lebenmittel

Der Einsatz von Zuckeraustauschstoffen einschließlich Fruktose (Fruchtzucker) hat sich als nutzlos erwiesen. Zwar bewirken sie nach dem Essen einen geringeren Blutzuckeranstieg als Saccharose oder Glucose. Aktuelle Studien zeigen jedoch, dass die verstärkte Aufnahme von Fruktose über industriell hergestellte Lebensmittel ungünstige Auswirkungen auf den Stoffwechsel hat. So fördert Fruktose die Gewichtszunahme, steigert Triglyceride, LDL-Cholesterin und Harnsäure und erhöht damit das kardiovaskuläre Risiko. Der natürlicherweise in Obst und Gemüse vorkommende Fruchtzucker wirkt sich nicht nachteilig aus.

Zuckeralkohole wie Sorbit, Xylit, Mannit oder Isomalt scheinen im Gegensatz zu Fruktose gesundheitlich unbedenklich zu sein. Allerdings lässt sich bei Verwendung dieser Zuckeraustauschstoffe weder eine bessere Blutzuckereinstellung noch ein Nutzen für das Gewicht nachweisen. Verantwortlich dürfte der hohe Fettgehalt vieler mit Zuckeraustauschstoffen gesüßter Diabetiker-Lebensmittel sein, der schnell zu einer unerwünscht hohen Energiezufuhr führt. Das ist auch ein Grund, warum die Fachgesellschaften sich erfolgreich dafür dafür einsetzten, zuckerreduzierte Lebensmittel nicht mehr als diätetische Lebensmittel einzustufen. Denn werbende Kennzeichnungen auf Lebensmitteln wie „für Diabetiker geeignet“ oder „zur besonderen Ernährung bei Diabetes mellitus“, werden häufig als Empfehlung missverstanden. Als einzig sinnvolle Ausnahme sehen Experten die Verwendung von energiefreien Süßstoffen in nicht-alkoholischen Getränken an. Verzichtbar sind sie allerdings auch, wenn – wie in der Vollwert-Ernährung empfohlen – ungesüßte Getränke wie Mineralwasser oder Tee bevorzugt werden. Das Ende für Diabetiker-Lebensmittel wurde vom zuständigen Ausschuss Anfang September beschlossen. Die Zustimmung des Bundesrates gilt als sicher.

Da der überwiegende Teil der Diabetiker keinen Nutzen aus einer Angabe von Broteinheiten auf Lebensmitteln zieht und diese zudem bislang europaweit nicht einheitlich ist, soll auch die BE-Angabe zukünftig entfallen. Für Patienten unter intensivierter Insulintherapie ist die alleinige Angabe der Kohlenhydratmenge ohnehin nicht immer ausreichend. Für eine optimale Insulindosierung ist die Art der Kohlenhydrate sowie der Fett- und Ballaststoffgehalt des Lebensmittels zu berücksichtigen, da diese Faktoren die Geschwindigkeit der Kohlenhydrataufnahme und damit die Blutzuckerwirkung beeinflussen. Um die Auswahl von geeigneten verpackten Lebensmitteln zu erleichtern und eine Einschätzung kohlenhydrathaltiger Lebensmittel auf die Blutzuckerwirksamkeit zu ermöglichen, fordern die europäischen Diabetesgesellschaften und das Bundesinstitut fü Risikobewertung (BfR) eine erweiterte und europaweit einheitliche Nährwertkennzeichnung.

Vollwert-Ernährung ist optimal

Als Fazit bleibt: Eine überwiegend pflanzliche Kost wie die Vollwert-Ernährung eignet sich hervorragend, um Diabetes mellitus vorzubeugen und ihn sinnvoll zu behandeln. Sie liefert kohlenhydratreiche Nahrungsmittel mit niedrigem glykämischen Index und stellt eine ausreichende Zufuhr an Ballaststoffen und Mikronährstoffen sicher. Gleichzeitig wird die Aufnahme von Energie und gesättigten Fettsäuren begrenzt. Schmackhaft und klimaverträglich ist sie obendrein.

Medikamentöse Therapie

Die beiden grundsätzlichen Formen der Insulintherapie sind die konventionelle (CT) und die intensivierte (konventio-nelle) Therapie (ICT). Bei der CT wird der Insulinbedarf in der Regel mit täglich zwei Injektionen eines Mischinsulins (Mix aus kurz- und langwirksamem Insulin) gedeckt. Das Essen muss an die Wirkung des gespritzten Insulins angepasst werden. Dies macht regelmäßige Mahlzeiten mit möglichst konstantem Kohlenhydrat­anteil zu festen Zeiten nötig. Bei der ICT ahmen mehrere, über den Tag verteilte Injektionen die Insulinfreisetzung eines Gesunden nach. Zu den Hauptmahlzeiten wird ein kurzwirksames Insulin gespritzt. Hierzu muss der Kohlenhydratgehalt der Mahlzeit korrekt abgeschätzt werden. Durch Blutzuckerkontrollen vor und nach den Mahlzeiten lässt sich der Insulinbedarf pro BE (Broteinheit) ermitteln. Unabhängig vom Essen besteht ein Grundbedarf an Insulin. Dieser wird mit Hilfe eines langwirksamen Basalinsulins gedeckt, das in der Regel morgens und zur Nacht gespritzt wird. Die ICT ermöglicht mehr Flexibilität beim Essen und Trinken. Die meisten Typ-2-Diabetiker werden mit oralen Antidiabetika (blutzuckersenkende Tabletten) behandelt. Abhängig von Artund Wirkung der Tablette müssen hier Einnahmezeitpunkte und Mahlzeitenverteilung abgestimmt sein.

Quelle: Kuchen, H.: "" UGB-Forum 5/10, S. 241-244
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