Gemüse und Obst enthalten viele sekundäre Pflanzenstoffe. Jedes Kind weiß, dass sie gesund sind. Aber warum eigentlich? Welche gesundheitlichen Vorteile bringt es wirklich, wenn mehr Frischkost auf den Tisch kommt?
Wer bei Frischkost an knackiges Gemüse, Salate und fruchtige Obstspieße denkt, liegt im Prinzip richtig. Doch auch frische Kräuter, Nüsse und Ölsaaten wie Sesam, Sonnenblumenkerne, Mohn, Leinsaat und Kürbiskerne gehören dazu ebenso wie kalt gepresste Pflanzenöle. Gerade in den Wintermonaten können Keimlinge aus Getreide oder Ölsaaten das Frischkost-Repertoire erweitern. Und im erweiterten Sinne zählen auch unerhitzte Milchprodukte wie Vorzugsmilch und Rohmilchkäse zur Frischkost.
Der Empfehlung der Vollwert-Ernährung, etwa die Hälfte der Nahrung unerhitzt zu essen, liegt eine einfache Überlegung zu Grunde: Je weniger verarbeitet ein Lebensmittel ist, desto größer ist die Chance, dass alle für Gesundheit, Geschmack und Wohlbefinden notwendigen Stoffe in vollem Umfang erhalten bleiben. Zu diesen Stoffen zählen im Wesentlichen Vitamine und Mineralstoffe, sekundäre Pflanzenstoffe und Ballaststoffe.
Gemüse und Obst stellen eine Hauptquelle für Vitamine und Mineralstoffe dar. Folgt man dem Motto "5 am Tag", nimmt man etwa die Hälfte des hitzeempfindlichen Folats aus diesen beiden Lebensmittelgruppen auf. Auch die Vitamine C und Beta-Carotin sowie der Mineralstoff Magnesium stammen überwiegend aus Obst und Gemüse. Eine ausreichende Versorgung mit Kalium und Zink sowie einigen B-Vitaminen ist ohne Obst und Gemüse ebenfalls nicht machbar. Wird Obst und Gemüse in den empfohlenen Mengen gegessen (ca. 600 Gramm am Tag), nimmt man auch ein Fünftel des Knochenbaustoffs Calcium und 45 Prozent des zugeführten Eisens aus diesen beiden Lebensmittelgruppen auf - eine Tatsache, die viele überraschen dürfte. Allerdings ist die Bioverfügbarkeit von Eisen aus pflanzlichen Lebensmitteln wesentlich schlechter als die aus Fleisch.
Verarbeitung bringt Vitalstoffe zur Strecke
Gesundheitsfördernde Wirkungen werden den sekundären Pflanzenstoffen zugeschrieben, von denen etwa 5000-10.000 in der Nahrung vorkommen. Sie dienen den Pflanzen als Abwehrstoffe gegen Fraßfeinde, färben Blätter und Früchte bunt, wie beispielsweise die roten Anthocyane in Beeren oder das grüne Chlorophyll in Feldsalat. Andere erzeugen das typische Aroma pflanzlicher Lebensmittel wie die Glukosinolate in Kohl, Senf, Meerettich oder Radieschen. Viele dieser aromatischen Verbindungen sind leicht flüchtig oder werden durch Hitze oder Luftsauerstoff zerstört. So kommt es beispielsweise beim Kochen von Brokkoli, Rotkohl oder Rosenkohl zu einer Verminderung des Glukosinolatgehalts um 18-45 Prozent. Frischkost ist daher in der Regel wesentlich aromatischer - vielleicht auch ein Grund, warum Kinder rohes Gemüse gegenüber gekochtem meist bevorzugen.
Unerhitzte Produkte führen auch zu einer geringeren glykämischen Belastung als erhitzte Lebensmittel. Das heißt, der Anstieg des Blutzuckers ist nach ihrem Verzehr weniger ausgeprägt, wodurch sie länger sättigen. Es wird weniger Insulin ausgeschüttet, was sich positiv auf den Stoffwechsel auswirkt. Ein weiterer Vorteil: Ballaststoffreiches muss länger gekaut werden. Das regt den Speichelfluss an und tut Zähnen und Zahnfleisch gut.
Gut ist auch, was nicht drin ist
Und so kann ein hoher Obst- und Gemüseverzehr mit seinen protektiven Wirkungen vor dem "Who is Who" der chronischen Erkrankungen schützen: Wissenschaftliche Studien haben überzeugende Ergebnisse geliefert, dass Obst und Gemüse das Risiko für Bluthochdruck, koronare Herzkrankheit und Schlaganfall senken. Als wahrscheinlich gilt eine Verminderung des Risikos für Krebserkrankungen des Mund- und Rachenraums, des Magen-Darm-Trakts und der Lunge. Ob der Verzehr unerhitzter pflanzlicher Frischkost hierbei eine entscheidende Rolle spielt, lässt sich aus den vorhandenen Studien nicht ablesen. Einige wenige Untersuchungen legen jedoch nahe, dass für manche Tumorarten des oberen Verdauungstrakts der präventive Einfluss von rohem Gemüse stärker ist als der von gekochtem. "Es gibt eine überzeugende Evidenz, dass viel Gemüse und Obst vorteilhaft für die Gesundheit ist", fasst Prof. Bernhard Watzl vom Max Rubner-Institut in Karlsruhe, der seit Jahren zur Wirkung sekundärer Pflanzenstoffe forscht, zusammen und ergänzt: "Vielfalt bei der Auswahl spielt nachweislich eine große Rolle. Inwieweit der Verzehr von Frischkost entscheidend ist, kann zurzeit nicht beantwortet werden."
Doch es gibt auch gute Gründe, einen Teil der Nahrung lieber erhitzt zu verspeisen. So wird die Stärke von Kartoffeln erst durch Erhitzen verdaulich. Carotinoide aus gekochten Möhren können zu einem weit höheren Prozentsatz vom Körper aufgenommen werden als aus rohen Möhren. Gleiches gilt für die Lycopinaufnahme aus Tomaten. Auch die Bioverfügbarkeit fettlöslicher Vitamine (Vitamin E und Provitamin A) aus grünem Gemüse wie Brokkoli steigt durch den Garprozess. Und jedem, dem der Geruch von frisch gebackenem Brot in die Nase steigt, fällt ein weiterer Grund ein: Die Bildung von Röst- und Geschmacksstoffen durch die sogenannte Maillard-Reaktion, die einem das Wasser im Mund zusammen laufen lässt.
Einige Lebensmittel sollten zudem ausschließlich erhitzt gegessen werden, da sie gesundheitsschädliche Inhaltsstoffe enthalten, die erst durch den Kochprozess zerstört werden. Dazu gehört beispielsweise das Phasin in Hülsenfrüchten, das in größeren Mengen die roten Blutkörperchen verklumpen lässt, in leichten Vergiftungsfällen tritt Übelkeit, Erbrechen und Durchfall auf. Obwohl sich beim Keimen der Phasingehalt vermindert, sollten auch Hülsenfrucht-Keimlinge kurz blanchiert werden. Und Holunderbeeren enthalten das Glykosid Sambunigrin, das ebenfalls Beschwerden im Magen-Darm-Trakt auslösen kann.
Fazit: Egal wie die wissenschaftliche Debatte um den Stellenwert der Frischkost bei der Prävention ernährungsabhängiger Erkrankungen letztlich ausgeht, eins ist jetzt schon sicher: Frischkostmahlzeiten bereichern und erweitern den Speiseplan, bestehen aus schmackhaften und aromatischen Zutaten und leisten einen wichtigen Beitrag für die Gesundheitsförderung. Die Empfehlung, die Hälfte der Nahrung in unerhitzter Form aufzunehmen, sollte aber nicht als Dogma verstanden werden: Die individuelle Bekömmlichkeit entscheidet in der Praxis. Wem Frisches gut bekommt, der kann die Menge ruhig auf zwei Drittel der Nahrung steigern. Für empfindliche oder ältere Personen ist häufig eine geringere Menge besser verträglich.
Onlineversion von:
Riemann-Lorenz, K.: UGB-FORUM 3/10 S. 110-113