Als Stevia vor fünf Jahren als Süßungsmittel zugelassen wurde, war die Begeisterung groß: ein natürlicher Süßstoff ohne die Nachteile von Zucker. Inzwischen ist Ernüchterung eingekehrt.
Stevia wird als natürliche Süße und gesunde Alternative zu Zucker angepriesen. Die Süße wird aus den Blättern der Steviapflanze gewonnen, die in Südamerika beheimatet ist. Anders als bei Zuckerrohr oder Zuckerrüben beruht der Süßgeschmack nicht auf einfach und mehrfach Zuckern, sondern auf Glykosiden. Diese organischen chemischen Verbindungen haben keinen Nährwert, also keine Kalorien und keinen Einfluss auf den Blutzuckerspiegel. Sie schmecken etwa 300-mal süßer als Zucker.
Steviasüßen, die bei uns in den Supermarktregalen landen, haben mit den Blättern der Steviapflanze jedoch nicht mehr viel gemeinsam. Vielmehr werden die eingesetzten Glykoside durch aufwendige chemische Verfahren aus den Pflanzen isoliert – also alles andere als natürlich. Die süß schmeckenden Steviablätter zu vertreiben, ist derzeit in der Europäischen Union nicht erlaubt. Denn bislang wurden nur die aufwendig isolierten Steviolglykoside als Lebensmittelzusatzstoff zugelassen.
Steviolglykoside stecken unter anderem in Bonbons, zuckerfreien Schokoladen, in Marmeladen, Kaugummi und Getränken. Doch die meisten Produkte sind nicht ausschließlich mit Stevia gesüßt, sondern beinhalten zusätzlichen Zucker oder andere Süßstoffe. Da die extrem stark süßenden Glykoside schwer zu dosieren sind, werden sie häufig mit Träger- oder Füllstoffen wie Maltodextrin gemischt. Kalorienfrei ist die Süße damit nicht mehr. Auch eine Cola, die mit Zusatz von Stevia-Süße wirbt, enthält immer noch knapp elf Würfel Zucker pro 0,5 Liter Flasche.
Verbraucherschützer kritisieren zudem die irreführende Aufmachung. Viele Hersteller und Vertreiber von Steviolglykosiden verwenden Bilder von Steviablättern, der Pflanze oder den Begriff Stevia und erwecken so den Eindruck, der Süßstoff beinhalte pflanzliche Bestandteile. Offiziell dürfen Steviolglycoside aber nicht als „natürliche Süßstoffe“ bezeichnet werden, sondern müssen in der Zutatenliste als „Süßstoff Steviolglycoside“ oder „Süßstoff E 960“ aufgelistet werden. Doch noch immer findet sich auf vielen Etiketten der Begriff Stevia. Einige Produkte werben zudem unerlaubt mit dem Zusatz „bio“. Biohersteller dürfen Steviolglykoside jedoch laut EU-Öko-Verordnung nicht verarbeiten. Auch dann nicht, wenn die Steviablätter ökologisch angebaut wurden.
Jeder Verbraucher sollte sich im Klaren sein, dass die meist als natürliches Süßungsmittel angepriesenen Steviasüßen keinesfalls direkt aus der Natur stammen, sondern aufwendig verarbeitet sind. Steviablätter, die bereits 30- bis 45-mal süßer als Haushaltszucker schmecken, sind nicht zugelassen. Ihre Süße wäre wirklich natürlich.
KD