Es ist nie zu spät, mit einer gesunden Lebensweise zu beginnen, ist das Credo von em. Prof. Ute Meier-Gräwe, die den Lehrstuhl für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft am Fachbereich für Agrarwissenschaften, Ökotrophologie und Umweltmanagement an der Justus-Liebig-Universität Gießen inne hatte.
„Reichliches Essen mit Fleisch, Wurst und guter Butter“ war in meiner Kindheit ein geflügeltes Wort, um auszudrücken, dass es der Familie gut ging. Meine Eltern und Großeltern hatten unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg mit dem täglichen Überleben gekämpft; die elementare Erfahrung von Hunger war tief in ihre DNA eingeschrieben. Meine Mutter als Ostpreußen-Flüchtling erzählte oft, wie sie für ihre sechs jüngeren Geschwister irgend etwas Essbares auftreiben musste: ihre Jugend war angefüllt mit der Sorge, wie sie Brot, Mehl, Milch, etwas Butter oder auch ein Gemüse (meisten Kohlrüben) ergattern konnte, um die Kleinen „satt zu kriegen“. So zerrann ihre Jugend damit, stundenlang anzustehen und aus dem Wenigen etwas Essbares zu zaubern. Meinen Vater hat sie als Sekretärin 1949 im Braunkohlekraftwerk Espenhein bei Leipzig kennengelernt, wo ihr sehnsuchtsvoller Blick beim Steno-Diktat auf drei Marmeladegläser im Regal hinter seinem Schreibtisch fiel…
Folglich drehte sich auch später, als ich geboren war, so ziemlich alles ums Essen. Wenn der Kühlschrank mit Fleisch und Leberwurst gefüllt und zudem das Westpäckchen mit dem guten Bohnenkaffee eingetroffen war, erlebte ich meine Eltern als rundum glücklich. Mein Vater buck jedes Jahr vor Weihnachten sechs Christstollen - ein Ritual, das mit der ersten 8mm-Kamera festgehalten ist. Die DDR-Schulspeisung war bescheiden, aber erschwinglich. Viel Bewegung und Mitarbeit im Schulgarten gehörten in den 1960er Jahren selbstverständlich auch zu unserem Alltag.
Bei meinen Großeltern in Greiz wurde ich mit Thüringer Klößen und Kaninchen, die auf dem Hinterhof gehalten wurden, verwöhnt. Da ich ein sehr zierliches Kind war, bekam ich für jeden Kloß, den ich aß, eine Mark. Du meine Güte! Als ich allerdings an einem Sonntagmorgen in die Küche kam, wo mein geliebter Großvater gerade meinem schwarzen Lieblingskaninchen das Fell über die Ohren zog, war mein Verhältnis zum Fleischkonsum das erste Mal schwer gestört und da half auch Geld nicht mehr.
Richtig intensiv habe ich mich mit dem Thema Ernährung und Gesundheit jedoch erst befasst, als ich nach dem Fall der Mauer als Professorin an der Uni in Gießen im Fachbereich 09 „quer“ eingestiegen bin. Nachdem ich dort grundlegende ernährungsökologische Zusammenhänge begriff, fiel es mir überhaupt nicht schwer, mich umzustellen und fortan weitgehend vegetarisch zu ernähren. Der Bio-Laden „Klatschmohn“ und der Gießener Wochenmarkt waren meine bevorzugten Einkaufsorte, wo ich stets auch viele Studierende und Bekannte traf.
Seit meiner Pensionierung nehme ich mir viel mehr Zeit dafür, gemeinsam mit meinem Mann neue Rezepte auszuprobieren: Wir genießen vor allem die einfache italienische Küche. In Kombination mit täglicher Bewegung an frischer Luft und mit sinnstiftenden Buch- und Forschungsprojekten, in die ich immer noch eingebunden bin, hoffe ich, noch viele gesunde Lebensjahre vor mir zu haben.
Text von Prof. Dr. Uta Meier-Gräwe vom Rat der Gesundheitsweisen, 09/2023, Alter: 70 Jahre
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