Klangmassagen, Klangmeditationen und Klangreisen arbeiten mit der Wirkung von Klängen auf Körper und Psyche. Wer sich auf die Erfahrung einlässt, erlebt eine ungewöhnliche Reise zu innerer Stille.
Die Angebote für Klangreisen, Klangmassagen und Klangmeditationen sind ebenso zahlreich wie divers. Sie reichen von instrumental begleiteten Traumreisen über Massagen mittels aufgelegter Klangschalen, Behandlungen auf speziellen Klangmöbeln bis hin zum Spielen speziell klingender Planeten-Gongs. Ebenso zahlreich sind die mit den Angeboten einhergehenden Behandlungsziele oder gar Heilversprechen: von der mentalen und körperlichen Entspannung über das Lösen von Blockaden bis hin zur Aufarbeitung von Traumata. Doch was verbirgt sich hinter dem Geheimnis von Klängen und was vermögen derartige Klangpraktiken zu bewirken?
Ein menschliches Bedürfnis
Das Bedürfnis, Klänge zu produzieren und sich mit ihnen zu umgeben, ist so alt wie die Menschheit selbst. Zu allen Zeiten und in allen Kulturen wurde musiziert. Das Bedürfnis nach Musik und Klang gehört zum Menschen wie das Bedürfnis nach Kommunikation, sozialer Nähe oder Bewegung. Über die Frage, ob Musik aus der Sprache, die Sprache aus der Musik oder beide unabhängig voneinander entstanden sind, rätseln Wissenschaftler:innen bis heute. Allein in unserem mitteleuropäischen Alltag erfüllen Klang und Musik zahlreiche unterschiedliche Funktionen: Sie bringen uns zum Tanzen, Weinen oder Lachen, sie wecken vergangene Erinnerungen oder intensivieren Erlebnisse der Zweisamkeit. Sie dienen zur sozialen Abgrenzung oder Integration, steigern unsere Kauflust, lassen uns mit Filmhelden mitfiebern oder erleichtern uns die Arbeit. Klänge machen etwas mit uns, so viel steht fest. Aber wie und warum das so ist, an dieser Frage beißen sich Forscher:innen seit über 2500 Jahren die Zähne aus. Allen gegenteiligen Behauptungen, Theorien und angeblichen Beweisen zum Trotz muss man zugeben: Wir wissen es nicht. Dass Mozart schlau oder Heavy Metal aggressiv macht, lässt sich ebenso wenig beweisen oder belegen wie das Gegenteil. Gleiches gilt für die angeblich harmonisierende oder gar heilende Wirkung von schamanischen Trommeln, indischer Musik, Klangschalen, Planeten-Gongs oder Monochords, also Geräten mit zwei oder mehreren Saiten, die auf den gleichen Ton gestimmt sind. Sind Klangreisen, -massagen und -meditationen nur weitere mehr oder weniger beliebige Hörangebote auf dem stetig wachsenden Markt für Wellnessmusik?
Sanfte Vibration
Klang ist zunächst nichts weiter als bewegte Luft, die durch Schwingungen erzeugt wird. Anders als beim Geräusch entstehen Klänge durch geordnete Schwingungen, was sie zum Urstoff der Musik macht. Im Gegensatz zur Sprache sind Klänge abstrakt, sie vermitteln keine konkreten Inhalte. Vielmehr wirken sie unmittelbar am Verstand vorbei. Ein Klang ist definiert durch seine Tonhöhe und Klangfarbe, die sich aus der Zusammensetzung seiner Obertöne ergibt. Darüber hinaus hat jeder Klang eine Ein- und Ausschwingphase, die je nach Klangerzeuger unterschiedlich lang sein können. Bei den genannten Klangpraktiken werden in der Regel Instrumente wie Tanpuras, ein nordindisches Saiteninstrument, Gongs oder Klangschalen verwendet, die lange Ein- und Ausschwingphasen erzeugen. Dabei schwillt der produzierte Klang langsam an und ebenso langsam wieder ab. Außerdem erzeugen sie eine Vielzahl von Obertönen, die dem Klang eine vielschichtige Textur verleihen.
In die Stille hineinhorchen
Um effektiv zu sein, benötigen Klangpraktiken neben dem Klang aber noch ein Zweites: die Bereitschaft, sich auf intensives Hören beziehungsweise Wahrnehmen einzulassen. Das klingt möglicherweise einfacher, als es ist. Schließlich ist unser Geist ein sehr unstetes Wesen, das ständig verschiedensten Gedanken nachjagt und den Zustand der inneren Stille kaum kennt. Nicht anders verhält es sich mit der äußeren Stille. Schließlich können wir unsere Ohren anders als unsere Augen nicht einfach verschließen, sodass wir ständig von Sprache, Geräuschen und Klängen umgeben sind. Wer sich allerdings mit allen Sinnen auf die Herausforderung eines stillen Abenteuers einlässt, dem ermöglichen Klangreisen, -massagen oder -meditationen Zeuge oder Zeugin eines Schöpfungsaktes zu werden. Das gelingt, indem der Prozess von der Stille zum Klang und zurück zur Stille bewusst und in allen Nuancen erlebt wird. Sei es hörend oder im Falle von Klangmassagen auch durch die sich durch den ganzen Körper fortpflanzenden Schwingungen. Ob dies entspannend wirkt, Blockaden löst oder gar hilft, Traumata aufzuarbeiten, lässt sich nicht eindeutig beantworten, hierzu gibt es keine valide Forschung. Was sie jedoch durch ihre Anwendung zu bewirken vermögen, ist das Erlebnis von Ruhe und Stille durch Klang – ein Zustand, den wir in unserem Alltag in der Regel selten verspüren.
Die Gedanken ruhigstellen
Auf den ersten Blick mag es absurd erscheinen, Stille durch Klang zu erzeugen. Aber wer schon einmal versucht hat, auf Kommando seine Gedanken abzustellen, weiß, wie schwer das ist. Um still zu werden, braucht unser Geist etwas, an dem er sich festhalten kann, das ihn aber nicht mit Bedeutung erfüllt, wie das bei Worten oder Gedanken der Fall ist. In dieser Hinsicht sind Klanganwendungen die idealen Mittel, um in den Zustand der Stille einzutauchen. Nun mag man sich fragen, was haben wir davon, Stille zu erfahren? Es liegt in der Natur der Sache, dass sich das Erleben von Stille exakter Beschreibung entzieht. Es bleibt uns daher nichts anderes übrig, als auf Analogien und Geschichten zurückzugreifen. In den östlichen spirituellen Lehren, Religionen und Philosophien sind Stille und Klang von zentraler Bedeutung, wenn es um das Erkennen des göttlichen Selbst geht. Aber auch ohne den Rekurs auf Religion und Esoterik lässt sich für jede:n selbst umschreiben, was das Erleben von Stille mit uns macht.
Dr. Markus Schmidt, gekürzt aus UGBforum 1/20
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