Darm-Hirn-Achse - Das Mikrobiom steuert mit

Darm und Hirn stehen in direktem Austausch miteinander. Kommt der Informationsfluss ins Stocken, können Beschwerden auftreten. Neuere Forschungserkenntnisse lassen vermuten, dass auch unsere Darmbakterien bei der Kommunikation ein wichtiges Wörtchen mitreden.

Hunger, Sättigung und Stuhldrang sind Signale unserer Verdauungsorgane, die von Zeit zu Zeit in unser Bewusstsein vordringen. Ein Großteil des gastrointestinalen Informationsaustausches entzieht sich jedoch unserer Wahrnehmung. Erst wenn der Informationsaustausch zwischen Darm und Gehirn gestört ist, kann sich dies durch unangenehme Beschwerden, Verstimmungen oder handfeste Erkrankungen bemerkbar machen. Wie der Herzschlag ist auch die Funktion des Magen-Darm-Traktes ein autonomer biologischer Prozess. Willentlich können wir die vom vegetativen Nervensystem gesteuerten Abläufe nicht beeinflussen. Das Nervensystem des Darms, auch enterisches Nervensystem (ENS) genannt, nimmt dabei eine besondere Stellung ein. Aufgeteilt in zwei netzartige Funktionseinheiten, durchziehen mehr als 200 Millionen Nervenzellen den gesamten Verdauungstrakt von der Speiseröhre bis zum Anus. Zwar unterliegt das ENS den Einflüssen von Sympathikus und Parasympathikus, agiert ansonsten aber völlig eigenständig. Es gleicht strukturell und funktionell dem Gehirn und erbringt ähnlich komplexe Leistungen. Zum Beispiel sammelt es Informationen über unsere Nahrung und speichert sie – eigenständig Denken kann der Darm allerdings nicht.

Darm agiert weitgehend selbstständig

Das Nervensystem des Darms ist hauptsächlich dafür zuständig, die Bewegung des Verdauungstraktes (Motilität) und den gerichteten Transport des Darminhaltes (Peristaltik) zu gewährleisten. Darüber hinaus reguliert das ENS die Durchblutung bis in die kleinsten Blutgefäße und kontrolliert Immun- sowie Entzündungsvorgänge. Es steuert das fein abgestimmte Zusammenspiel von Botenstoffen und Verdauungssekreten wie Sättigungshormonen, Gallensekret oder Magensaft. Die Kommunikation zwischen Gehirn und Darm verläuft bidirektional. Das bedeutet, das zentrale Nervensystem (ZNS) sendet Signale an den Darm und umgekehrt. Diese Kommunikation läuft zu einem maßgeblichen Teil über den zehnten Hirnnerv, den Nervus Vagus. Er verbindet den Verdauungstrakt von der Speiseröhre bis zum ersten Drittel des Dickdarmes über Nervenbahnen mit dem Gehirn. Der Informationsaustausch über den Nervus Vagus erfolgt allerdings nicht gleichmäßig. Entgegen der ursprünglichen Annahme, dass das Gehirn als übergeordnete Schaltzentrale wesentlichen Einfluss auf alle Organfunktionen habe, weiß man heute, dass 90 Prozent des Informationsaustausches vom Darm zum Gehirn hin verläuft.

Botenstoffe aus dem Darm wirken auch im Gehirn

Die Botschaften des Verdauungstraktes sind untrennbar mit den Billionen von Mikroorganismen verbunden, die in ihm leben. Die Gesamtheit der darmassoziierten Mikroorganismen oder intestinalen Mikrobiota, ist vielen noch als Darmflora bekannt. Synonym wird auch der Begriff Mikrobiom verwendet. Man spricht deshalb nicht mehr nur von der Darm-Hirn-Achse, sondern von der Darm-Hirn-Mikrobiom-Achse. Die Kommunikation läuft dabei nicht nur über Nervenbahnen, sondern auch über Botenstoffe.

Gesundes Mikrobiom gegen Depressionen

Spezielle Zellen der Darmschleimhaut produzieren eine ganze Reihe an Hormonen und Neurotransmittern. Sie setzen diese als Antwort auf chemische oder mechanische Reize frei. So wird der größte Teil außerhalb des Gehirns verfügbaren Serotonins im Darm produziert. Dort spielt es eine Schlüsselrolle bei der Steigerung der Darmmotorik und -sekretion und der Entstehung von Bauchschmerzen. Möglicherweise beeinflusst das vom Darm abgesonderte Serotonin auch die Signalverarbeitung im Gehirn. Offensichtlich ist eine normale mikrobielle Darmbesiedlung ein wichtiger Faktor für die Regulation der Serotonin- und Melatoninproduktion aus Tryptophan. Serotoninmangel, Schlafstörungen und Depressionen scheinen im direkten Zusammenhang mit Verschiebungen des Mikrobioms zu stehen. Stoffwechselprodukte bakteriellen Ursprungs können darüber hinaus als Botenstoffe dienen. So bauen Darmbakterien Ballaststoffe zu kurzkettigen Fettsäuren ab. Diese dienen den Zellen der Darmschleimhaut einerseits als Energielieferanten und sorgen so für eine intakte Darmschleimhaut. Andererseits stimulieren die kurzkettigen Fettsäuren bestimmte Darmzellen, die Hormone mit sättigender Wirkung ausschütten und so die Nahrungsaufnahme regulieren.

Emotional Belastendes reizt den Darm

Emotionen können zu gastrointestinalen Störungen beitragen. Umgekehrt wird die Stimmungslage durch bestimmte Zustände im Verdauungstrakt wie Sättigung, Bauchschmerzen, Übelkeit und Blähungen beeinflusst.

Essen und Medikamente als Störfaktoren

Neben Stress und Infektionen gibt es weitere, mehr oder weniger beeinflussbare Störfaktoren, die sich auf die Kommunikation zwischen Mikrobiom und der Darm-Hirn-Achse auswirken. So verringern sich die Nervenzellen des Darms altersbedingt, was dessen Beweglichkeit beeinflusst und den Darm träge macht. Unter den Medikamenten sind es in erster Linie Antibiotika, die im Darm erheblichen Schaden anrichten können. Ist das mikrobielle Gleichgewicht gestört, kann es zu Durchfällen und Blähungen kommen. Calciumantagonisten zur Einstellung des Blutdrucks und Medikamente zur Behandlung von Diabetes können die Beweglichkeit des Magens, Dünn- und Dickdarms einschränken und so zu Verstopfung (Obstipation) führen. Außerdem wird davon ausgegangen, dass sich eine protein- und fettreiche Ernährungsweise ungünstig auf die Darmgesundheit auswirkt. Eine hohe Fettaufnahme unterstützt das Wachstum von Bakterien, die Entzündungen fördern und die Darmbarriere destabilisieren. Außerdem mangelt es bei einer fett- oder proteinreichen Ernährung häufig an Ballaststoffen, was das Vorkommen an kurzkettigen Fettsäuren verringert und Entzündungen begünstigt.

Basis für eine gute Kommunikation

Die Grundlagen für eine gelungene Kommunikation zwischen Gehirn, Darm und den intestinalen Mikroorganismen werden schon vor der Geburt gelegt, zum Beispiel durch den Lebensstil in der Schwangerschaft. Auch Faktoren wie eine natürliche Geburt und Stillen helfen bei einer gesunden Entwicklung des Darms und der Darmmikrobiota. Im späteren Leben sind es günstige Lebensstilfaktoren wie eine pflanzenbasierte, ballaststoffreiche Ernährung, eine gute Balance zwischen Bewegung und Entspannung und eine gesunde Schlafhygiene, die sich positiv auf die Darmgesundheit auswirken. Die Erforschung der Darm-Hirn-Mikrobiom-Achse liefert uns neue, spannende Erkenntnisse. Sie zeigt, dass nicht nur die Kommunikation mit unserer Außenwelt Einfluss auf unser körperliches, seelisches und geistiges Wohlbefinden nimmt, sondern auch die Kommunikation in unserem Bauch mit den dort ansässigen Mikroorganismen. Obwohl diese Erkenntnisse zahlreiche Ansätze für neue Therapien liefern, ist man in Fachkreisen noch zurückhaltend. Grund dafür ist, dass nach wie vor nicht bekannt ist, wie eine normale beziehungsweise gesunde Zusammensetzung des Mikrobioms genau aussieht. Außerdem stammen die bisherigen Ergebnisse überwiegend aus Tierstudien oder Untersuchungen im Reagenzglas, was die Übertragbarkeit auf den Menschen erschwert. Was die Erforschung des komplexen Zusammenspiels von Gehirn, Darm und Mikrobiota in jedem Fall bestätigt: Wir müssen den Menschen mehr denn je als Einheit von Körper, Seele und Geist begreifen und behandeln.

Johanna Feichtinger, gekürzt aus UGBforum 5/19

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